Neuromancers Schreibwerkstatt

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Löwenbändiger...

Hallo Habbos,

Das war lange! Leider hat es diesmal ein bisschen länger gedauert, die Fusion hat leider viel Zeit gefressen und es waren diesmal nicht wenige Geschichten.

Aber was für Geschichten das waren!
Zirkuslöwen, wilde Löwen, Geisterlöwen - alles war vertreten. Wer also Lust hat sich auf eine imaginäre Reise in die Savanne mitnehmen zu lassen, zu lesen wie das Auge der Schlange den Löwen besiegt oder Neuromancer den Löwen in der Hotelhalle stellt, wer wissen will was der kleine Löwe Katunga so treibt und wie Ivo 6 Jahre mit den Löwen lebte, der darf sich diese Geschichten nicht entgehen lassen. Im Thread der Schreibwerkstatt findet ihr alles was ein Literatenherz begehrt.

Die Gewinnereschichte stammt diesmal von einem Habbo der mir schon oft durch gute Geschichten aufgefallen ist und dessen Geschichte über Luke Lion den Löwenbändiger mir sehr gut gefallen hat, auch wenn sie etwas lang ist.


Viel Spaß mit der Geschichte von

-.erdbeere.-

Der Löwenbändiger – alle guten Dinge sind drei
„Lerne die Sprache der Löwen. Du musst sie aus tiefstem Herzen lieben und versuchen ihr Herz zu erobern, so wie sie das deinige erobert haben. Einst wirst du ein Teil von ihnen werden und dann bleiben die magischen Pforten des Königspalasts alle Zeit für dich offen. Doch bedenke den Gefahren, die in tiefer Seele aller Wesen auf Erden schlummern.“, erinnere ich mich an die alte Weisheit, die mich mein Vater mit erhobenem Zeigefinger immer wieder lehrte. Vielleicht hatte ich mich von der Euphorie des Publikums blenden lassen, denn den letzen Satz dieser alten Weisheit hatte ich an jenem Abend nicht aufs geringste berücksichtigt. Ein fataler Fehler, wie sich später herausstellte. „Trick Nummer Vier“, dies hat sich in mein Gedächtnis gebrannt und ich werde Tag für Tag damit konfrontiert. Spreche ich diese drei Wörter aus, ist das so ähnlich, als würdet ihr ‚Ich bin tot‘ sprechen. Ein garstiges Gefühl, nicht wahr? Trick Nummer Vier. Was ich damit verbinde ist Grausames, was ich keinem Menschen auf Erden wünsche. Wisst ihr, es ist hart, wenn euer Leben vom einen Tag auf den anderen so schlagartig umschlägt. Ich weiß noch genau, als ich im Krankenhaus lag, mich nicht mehr rühren konnte und merkte, was mit mir los war. Es war wie ein Schlag ins Gesicht. Ich war fertig. Mit allem. Mit meinem Leben. Anfangs war ich hilflos gefangen in diesem Bett, konnte nicht aufstehen, nicht laufen, gar nichts. Und gerade in diesen Momenten begriff ich, dass seelischer Schmerz weitaus mehr wehtut, als jeglicher körperliche Schmerz. Zu allem Überfluss hatte ich dann auch noch diesen komischen Traum. Wozu ich eigentlich noch in der Lage war? Denken. Also ließ ich den Abend immer wieder Revue passieren. Ein Horrorszenario. Dabei hatte alles so harmlos angefangen…

Hier war ich. Ich, Luke Lion, der Löwenbändiger. Ein Junge aus schlechten Verhältnissen, verwaist, weil die Eltern im Bürgerkrieg umgekommen waren. Verwandte, Heime oder ähnliches gab es nicht. Daher war ich auf mich allein gestellt und musste mich und meinen Löwen irgendwie über Wasser halten. Womit? Mit meiner Fähigkeit, Löwen zu bändigen und ihnen Tricks beizubringen. So, wie es mir mein Vater in meiner frühen Kindheit beigebracht hatte. Hautnah hatte ich die Löwen in der Savanne erlebt und von Vater gelernt, wie man mit ihnen umgehen muss. Also wollte ich mir mein Talent zu Nutzen machen und wurde glücklicherweise schon bald von einem Zirkusdirektor, der wieder ein bisschen Geld einspielen wollte, weil er mit seinem Zirkus tief in den Schulden steckte, sogar aufgenommen. Was eignete sich für ihn besser, als eine Sondervorstellung eines Löwenbändigers? Klar hatte ich zugestimmt. Und nun saß ich hier, in dem riesigen Raum, in dem man sich trotz des herrschenden Trubels fast verloren vorkam. Eingehüllt von süßlichen Parfumdüften mit deutlich mehr als einem Hauch Moschus, musterte ich den pinken Schminktisch, endlos überfüllt von Puder, Pinseln, Schwämmen, Haarklammern, Parfums und Lippenstiften. Letzteres würde Lucie, die sich als angehende Visagistin betitelte, wohl eher weniger bei mir verwenden, wobei ich mir da gar nicht mal so sicher war. Ruhig starrte ich mein Spiegelbild an, während sie mein Gesicht kiloweise mit Puder bestäubte und meine Augenbrauen mit einem Stift verstärkte. Ich fand beides völlig überflüssig, ließ sie aber machen. Ich würde schon aufpassen, dass sie mich nicht in einen Clown verwandelte .Außerdem hatte ich hier eh nichts zu sagen. ‚Ich könne mich glücklich schätzen‘, wie Mr. Joneston zu sagen pflegte. Schließlich ging ich in Gedanken den schlichten Ablauf meines Auftritts nochmal durch. Ich war einfach ein perfektionistischer Mensch, ja ich konnte es nicht ausstehen, wenn ich die Kontrolle verlor oder mir Fehler unterliefen. Viele Begabungen besaß ich ja nicht, aber diese eine, die ich hatte, die wollte ich dem Publikum auch richtig zeigen. Konzentration, Konzentration, das ist die Hauptsache. Bei Aufregung wird man erfahrungsgemäß doch schnell hibbelig. Dann konnte alles schnell aus dem Ruder geraten. Ich wusste das haargenau, aber ich wollte dieses Risiko eingehen. Ich wollte den Menschen da draußen zeigen, was ich drauf habe. Und es stand fest, dass mich nichts und niemand aufhalten konnte. Auch wenn Gefahr bestand, dass die Situation eskaliert.

„Luke, bist du fertig?“, riss mich Mr. Joneston aus meinen Gedanken, „fast alle Zuschauer sind schon eingetroffen, es geht gleich los, hörst du?“ Er guckte mich schief an. Auf der schwach mit Falten durchzogenen Stirn des Zirkusdirektors standen Schweißperlen und er sah abgekämpft aus, dabei hatte die Vorstellung ja noch nicht mal begonnen. „Keine Ahnung. Frag Lucie, ob sie mit mir fertig ist. Wieso schaust du so? Sehe ich wohl komisch aus? Ich wusste es.“ „Nein, nein. Ich also ähm.. an Puder hat sie ja nicht gespar…“ Ein strafender Blick von Lucie sprach Bände und ließ ihn selbstverständlich sofort verstummen. Sie räusperte sich. „Luke sieht gut aus, Lucie. Gute Arbeit, wie immer eben“ zog er sich schnell aus der Affäre und setzte sein bestes Lächeln auf. Dann machte er sich schleunigst aus dem Staub, bevor er sich weitere böse Blicke einfangen konnte. „Arschloch“, murmelte Lucie, als er weit genug weg war. Ich fand, dass Mr. Joneston absolut Recht hatte, aber naja, Frauen eben. Die beiden verstanden sich sowieso nicht besonders gut, weil Mr. Joneston sie nicht gut bezahlte. „So. Fertig. Passt’s so?“ , guckte Lucie mich erwartungsvoll an. Ich wollte nicht denselben Fehler wie Mr. Joneston machen, weshalb ich ein schnelles „Perfekt“ murmelte.

Anschließend schaute ich auf meine Armbanduhr. Zehn vor Acht. „Um Acht beginnt die Vorstellung! Scheiße, ich bin viel zu spät!“, fluchte ich. Ich hatte die Zeit völlig aus dem Auge verloren. Panisch hetzte ich durch den Raum, vorbei an überfüllten Schminktischen, leeren Kleiderständern und muskelbepackten Bühnenhelfern. Ich musste dringend zur Garderobe, denn in meinem Schlabberpulli und meiner abgewetzten Jeans – die einzigen Klamotten, die ich besaß - konnte ich unmöglich vors Publikum treten, obwohl das sichtlich bequemer gewesen wäre. Ganze vier Minuten später steckte ich in einer hautengen schwarzen Lederhose, einem rot-gelb bestickten Seidenhemd und einer dazu passenden Lederweste mit Nieten. Als ich an mir herabsah musste ich mir ein Lachen verkneifen. Mein Outfit sah schräg aus. Oder ehrlichgesagt eher lächerlich. Meine Haare hatten sie zum Glück in Frieden gelassen, nachdem ich aufs heftigste protestiert hatte, ich würde sonst zur Lachnummer werden. Andernfalls hätten sie mir womöglich eine schleimige Elvis-Tolle verpasst. Ich schmunzelte bei der Vorstellung, wie ich damit wohl aussehen würde. Doch jetzt war keine Zeit für Späße. Es ging gleich los.

„Mensch Junge, wo warst du verdammt nochmal? Überall habe ich dich gesucht! Komm jetzt schnell, wir sind sowieso zu spät.“, zerrte mich Mr. Joneston grob am Ärmel Richtung Bühneneingang. Er war so aufgeregt und energisch, dass ich schon befürchtete, er würde gleich hyperventilieren. Das belustigte mich, aber dann holte mich wieder der Ernst des Lebens ein. In ein paar Sekunden würde ich vor Abermillionen Menschen stehen – okay ein bisschen weniger – und die einstudierten Tricks und Figuren mit meinem Vertrauten vorführen. Ja, da war ich in meinem Element. Aber die ganze Hetzerei und Aufregung so kurz vor dem Auftritt, hatte mich etwas aus dem Konzept gebracht, sodass ich Mr. Joneston bat, mich kurz nochmal hinsetzen zu lassen. Denn ich brauchte für meine Vorstellung klare Gedanken und die musste ich erst wieder finden. „Mein Gott, Junge. Die Zuschauer warten doch! Beeil dich gefälligst!“, rief er verärgert und stapfte durch die Tür auf die Bühne. „Liebe Zuschauer, ich heiße Sie herzlich Willkommen. Bitte entschuldigen Sie die Verzögerung. Aber jetzt ist es soweit. Bestaunen Sie den einzigartigen, unglaublichen Löwenbändiger Luke Lion mit seinem Löwen Silvan! Ich wünsche Ihnen viel Spaß!“, hörte ich Mr. Joneston ins Mikrofon plärren. Jetzt war ich an der Reihe- the stage is yours, boy.

Einer der Muskelprotze bugsierte den schweren Löwenkäbobbauf die Bühne. Ein ‚Oh und Ah‘ ging durch die Menge, als sie den Löwen sahen. Die Vorhänge waren bereits zur Seite geschoben, die Scheinwerfer auf die Bühne gerichtet. Nachdem der Käfig sowie das Podest, das ich für manche Tricks benötigte, auf der Bühne platziert waren, konnten die Spiele beginnen. Als ich die Bühne betrat, wurde ich erst einmal von der stickigen Luft wortwörtlich erdrückt, weshalb ich für ein paar Sekunden vor dem Vorhang verharrte. Dann trat ich mit gesenktem Kopf langsam in die Mitte, wobei die alten Holzbretter laut unter mir ächzten, was ziemlich unangenehm war, denn im Saal war es mucksmäuschenstill. Ich fühlte, wie mir der Schweiß den Rücken hinunter rann. Nervös trat ich von einem Fuß auf den anderen bis ich aufblickte und augenscheinlich zahlreiche neugierige Augenpaare erspähte. Es war einschüchternd und ergreifend zugleich. Tausende, erwartungsvolle Menschen - gespannt auf meine Vorstellung, bei der kein einziger Laut aus meinem Mund dringen würde, denn mit meinen Tieren redete ich bekanntermaßen auf eine andere, ich möchte fast sagen magische Weise. Ich konnte ihre Blicke und Bewegungen deuten wie kein anderer, im Gegenzug verstanden sie meine Gesten. Rechts und links am Bühnenrand standen jeweils zwei Security- Männer, aber mir war klar: wenn was ernsthaft danebengeht, können mir die auch nicht mehr helfen.
Ich atmete noch einmal tief durch. Konzentrier dich Luke, sagte ich mir. Dann zückte ich den Schlüsselbund aus meiner Hosentasche. Ich spürte das eiskalte Metall des Schlüssels, den meine knochigen Finger fest umschlossen. Kurz hielt ich inne und schlich dann zum Käfig hin. Bevor ich aufsperrte, blickte ich durch die vielen Stäbe noch einmal herunter zu Silvan, mein Löwenherz. Sein Blickt sagte mir, dass er aufgeregt war. Genau wie ich.
Sachte steckte ich den Schlüssel ins Schloss und drehte ihn nur langsam. Ein bisschen Spannung fürs Publikum schadet ja nicht. Als die Käfigtür mit einem lauten Quietschen aufsprang, merkte ich wie die Anspannung in der Luft knisterte. Behutsam ging ich einen Schritt zur Seite, damit Silvan aus dem Käfig konnte. Majestätisch stolzierte er aus seinem Käfig und zeigte sich selbstbewusst seinem Publikum. Ums eine Aufregung etwas zu lindern, bobba ich ihm sanft vom Kopf bis zum Schwanz, über sein weiches, dickes Fell. Er schnorrte genüsslich. ‚Eine gute Voraussetzung, wenn er entspannt ist‘, dachte ich.
Okay. Augen auf, Münder zu. Jetzt kam der erste Trick. Silvan sollte auf dem Podest eine einfache Drehung machen und anschließend wieder zu mir zurückkommen. Auf den ersten Blick sieht das für den Zuschauer leicht aus, aber es ist viel Arbeit. Löwen sind wilde Tiere und sie müssen über ein großes Vertrauen zu einem Menschen verfügen, bis sie ihm gehorchen. Es dauert Jahre, ein solches Vertrauen aufzubauen. Dass sie dann auch die Tricks souverän ausführen, ist eine Übungssache, die aber dennoch viel Geduld benötigt. Ein ungezähmter Löwe würde einfach wild auf der Bühne toben und alles in absolutes Chaos versetzen. Aber auch ein gezähmter Löwe ist dazu fähig. Löwen können wie wir Menschen unberechenbar sein.

Zunächst achtete ich darauf, dass mich Silvan ganz genau ansah. Dann malte ich mit meinem Zeigefinger einen Kreis in der Luft und warf ihm einen ernsten Blick zu. Nun machte ich einen Schritt zurück, um ihm zu zeigen, dass er danach wieder herkommen sollte. Er nickte mit dem Kopf und im selben Moment schlich er leise zum Podest. Ich schätze, als Zuschauer wäre ich vor Staunen geplatzt. Graziös bestieg mein Löwenherz das Podest, oben machte er Halt und drehte sich langsam, aber genau richtig zum Publikum und streckte diesem den Kopf entgegen. Anschließend kam er wie verlangt zurück zu mir. Das Publikum gab lauten Beifall und mir, mir fiel ein Stein vom Herzen, denn der erste Trick war ohne Probleme verlaufen. Hastig wischte ich mir mit einem Taschentuch die Schweißperlen aus der Stirn, bevor ich zum nächsten Trick überging. Ich war guter Hoffnung, dass dieser genauso reibungslos verlaufen würde.

Der zweite Trick sah folgendermaßen aus: Silvan sollte erneut auf das Podest steigen, sich diesmal aber auf die Hinterbeine stellen und quasi ein ‚Männchen‘ machen. Dieser Trick hatte unheimlich viel Arbeit gekostet, denn ein Löwe ist nicht gerade ein Leichtgewicht und seinen Körper auf Knopfdruck in eine solche Position zu richten, bedarf sowohl für Löwe als auch für seinen Bändiger Anstrengung und gute Nerven. Aber ich kannte Silvan und bei der Probe hatte er diesen Trick super bewältigt, also glaubte ich an ihn. Stolz streckte ich meine Brust heraus, was der König der Tiere als Anweisung für das ‚Männchen‘ sofort verstand. So meisterte er auch diesen Trick mit Bravour und die Zuschauer wollten fast nicht mehr aufhören zu klatschen. Während sie applaudierten, atmete ich kurz durch, um nicht die Fassung zu verlieren und die beiden Tricks, die Silvan und ich noch vor mir hatten, genauso gut zu bewerkstelligen.

Schließlich kam der dritte Trick. Silvan sollte durch einen Reifen springen, ursprünglich einen brennenden Feuerreifen, aber weil wir uns alle einig waren, dass dies wohl zu gefährlich wäre, beließen wir es dann doch bei einem normalen Reifen. Ein solcher Trick war für Silvan keineswegs simpel, aber es war machbar und getreu den anderen Tricks hatte er auch diesen bei der Probe gut hinbekommen. Würde er mich falsch verstehen, könnte das immer übel enden. Aber Silvan enttäuschte mich nicht. Vorsichtig hob ich den großen Reifen vom Boden auf und positionierte mich günstig in der Mitte der Bühne, sodass Silvan genügend Platz hatte. Silvan wartete einige Meter entfernt auf das Signal zum Loslegen. Mit meinen Händen machte ich einen Kreis, wobei ich penibel darauf achtete, dass er auch jetzt genau hinsah und stapfte bestimmt mit dem rechten Fuß auf den Boden. Silvan gehorchte auf der Stelle und tapste etwas nach vorne. Jetzt nahm er gewissermaßen Anlauf und rannte auf den Reifen zu. Perfekt sprang er ab, hindurch durch den Reifen – ohne ihn zu berühren. Als er wieder auf dem Boden aufgekommen war, tobte das Publikum vor Begeisterung. Ich blickte zu Silvan. Ruhig stand er da, auf allen Vieren – ein Triumph für uns beide. ‚Wir sind einfach gute Partner‘, schwärmte ich.
Zu guter Letzt aber kam der vierte Trick. Er sollte die Vorstellung abrunden und den Höhepunkt des Abends bilden. Es war schließlich auch der schwerste der vier Tricks. Er hatte viel Zeit erfordert. Doch ich nutze sie gerne, um so eine Nummer mit meinem Löwen einzustudieren. Silvan und ich waren das Dreamteam schlechthin. Das Vertrauensverhältnis zu ihm hatte ich immer als ausgezeichnet gesehen und es war erfreulich, wie gut wir zusammenarbeiteten. Zusammenarbeit, ja, das war auch bei dieser Nummer gefragt. Denn Leute aufgepasst: bei der Nummer sollte mich Silvan umarmen. Wie ein Kind seine Mutter, damit hatte ich es immer verglichen. Wie alle anderen Tricks hatte die Umarmung bei der Probe ziemlich gut geklappt, sodass ich auch diesmal keine Zweifel hatte, dass Silvan dies perfekt meistern würde. Denkste.
Für diese Übung waren nicht übertrieben viele Gesten erforderlich. Im Gegenteil. Hände auf die Schultern, damit wusste Silvan sofort, was er zu tun hatte. Einen Haken hatte dieser Trick aber: Silvan dürfte sein Gewicht keinesfalls auf mich drücken. Präzision war also angesagt. Entschlossen legte ich die Hände auf meine Schultern. Der Startschuss für Silvan, der einen Meter vor mir stand, sich auf die Hinterbeine zu stellen und mich mit seinen Pfoten zu umarmen. Ich sah wie er sich aufrichtete. Seine Vorderbeine neigten sich in meine Richtung. Plötzlich verlor Silvan die Kontrolle und stürzte mit seinem Körper auf mich herab und riss mich mit zu Boden. Oh mein Gott. „Helft mir, verdammt!“, grölte ich. In diesem Moment dachte ich nur eins: Scheiße! Plötzlich fletschte Silvan die Zähne, riss sein Maul so weit auf, dass ich in seinen feurigen Rachen sehen konnte und knurrte inbrünstig. Ich konnte es nicht glauben: bis dahin hatte sich keiner der Security- Männer gerührt. Leider, denn jetzt war ich nicht mehr zu retten.
Ich spürte wie sich scharfe Zähne in meine Seite gruben, es schmerzte wie hundert Messerstiche und ging durch meinen gesamten Körper. Als ich markerschütternd um mein Leben schrie, weil es so unausstehlich weh tat, ertönte ohrenbetäubender Lärm, die Menschen kreischten und brüllten, riefen um Hilfe. Und was war mit mir? Ich hatte das Gefühl, mein Körper und mein Herz würde auseinander gerissen. Denn es war nicht allein körperlicher Schmerz, der mich quälte. Es war viel mehr seelischer Schmerz, weil mich Silvan so enttäuscht hatte. Weil wir beide nicht mehr eins waren, nicht mehr ein Herz und eine Seele, sondern Gegner, was ich mir in den kühnsten Träumen nicht hätte vorstellen können. Jeglicher Schmerz ließ nicht nach, bis ich plötzlich einen tiefen Einstich im Schulterblatt wahrnahm und abermals durchdringende Schreie von mir gab. ‚Bye bye, Luke, schönes Leben hast du gehabt‘, dachte ich bloß. Ich schaute mit schmerzverzerrtem Gesicht auf meinen blutüberströmten Körper. Ekelhaft. Abscheulich. Die Kleidung war komplett zerfetzt. An mehr kann ich mich nicht erinnern, denn dann wurde es schwarz um mich herum und ich spürte nichts mehr. Garnichts. Ich dachte, das wäre der Tod.

3 Wochen später.

„Wieso kommen sie erst jetzt vorbei, Mister Joneston? Der Junge wurde stark verwundet. Ganze drei Wochen, bis heute lag er noch im Koma“, hörte ich entfernt jemand sprechen, der zusehends empört war,“ sagen Sie, wie konnte so etwas eigentlich passieren? Er hatte starke und tiefe Bisse in der linken Körperhälfte sowie am rechten Schulterblatt. Wie kommt es, dass er so schlimm zugerichtet wurde?“ Kurzes Schweigen. Dann vernahm ich die vertraute Stimme von Mr. Joneston: „Es war ein Unfall mit seinem Löwen bei der Vorstellung. Das Tier ist über ihn hergefallen. Wissen Sie, Luke war Löwenbändiger.“ Wieder kurze Pause. Die andere Person schien nachzudenken. „Und was ist mit den Sicherheitsvorkehrungen? Ich meine, sowas muss doch bewacht werden, während so einer Vorstellung. Oder irre ich mich da?“ Mit gespielt verbitterter Stimme antwortete Mr. Joneston: „Sie haben ja Recht. Die Security-Leute haben versagt. Sie waren zu feige. Oder zu langsam. Dr. Fanning, ich mache mir solche Vorwürfe. Ich habe den Jungen aufgenommen, er ist ein Waise. Jetzt ist sein Leben zerstört. Es tut mir so schrecklich leid.“ Ich hörte natürlich alles mit und ich wusste genau, Mr. Joneston log. Von wegen Mitleid. Er schauspielerte ganz klar, mir konnte er nichts vormachen. Vorwürfe machte er sich vielleicht, weil sein Plan mit mir Geld zu scheffeln, nicht geklappt hatte. Hasserfüllt starrte ich an die Decke. Ich hätte dieses Ekelpaket namens Joneston erwürgen können. ‚Du würdest dich gut als Schauspieler eignen, du mieser Typ‘, dachte ich gehässig.
Ich hatte keine Lust hier noch länger herumzuliegen, also wollte ich aufstehen und mich ein bisschen umsehen. Bewegung hat ja bekanntlich noch keinem geschadet. Überraschenderweise tat mir auch gar nichts weh. Umso besser. Doch als ich recht unbeholfen versuchte aus dem Bett zu steigen, überfiel mich eine Welle des Entsetzens. Ich konnte meine Beine nicht mehr spüren – geschweige denn bewegen. Ich konnte gar nichts mehr spüren. Keinen Schmerz, keine Wärme – einfach nichts. Nur meine Arme konnte ich leicht bewegen, den Kopf jedoch nicht mehr richtig drehen. Jetzt dämmerte es mir – ich musste gelähmt sein. Nein! Das kann nicht wahr sein! Nein, nein, nein! Mir schossen augenblicklich die Tränen in die Augen und rannen wild meine Wangen hinunter. In diesem Moment wünschte ich mir lieber den Tod, als mein restliches Leben als Schwerbehinderter zu verbringen. Wieso ich? ‚Womit habe ich ein solches Schicksal verdient?', ?‘ jammerte ich wie ein kleines Kind. Doch dann holten mich meine Erinnerungen wieder auf den Boden der Tatsachen zurück und ich musste wohl oder übel der Wahrheit ins Auge blicken: ich hatte mir das alles selbst eingebrockt. Mehr als genau hatte ich von den möglichen Gefahren gewusst. Es war mein Fehler. „Wäre ich mal nicht aufgetreten“, seufzte ich. Wäre ich mal.., wäre ich mal.. ja das konnte man im Nachhinein so leicht sagen.
Wie aus heiterem Himmel kam Doktor Fanning auf einmal zur Tür herein und setzte sich entschlossen neben mich. Kritisch beäugte ich den Arzt, den seine ergraute Halbglatze, das von tiefen Falten geprägte Gesicht mit starken Schlupflidern und der verstörte Blick noch älter aussehen ließen, als er vermutlich war. Mit seinen kleinen, ausdruckslosen Augen starrte er stoisch auf das Bettgestell, um meinem Blick auszuweichen. Er wollte oder konnte mir nicht in die Augen sehen, weil er mich wahrscheinlich durch die Fensterscheibe beobachtet hatte. Wie ich nämlich versucht hatte aufzustehen und dabei gescheitert war. „Luke, hören Sie mir netterweise kurz zu.“, es klang eher wie ein Frage,“ Sie müssen jetzt stark sein. Mir fällt es auch nicht leicht, aber Sie haben ein Recht es zu erfahren. Es bestimmt ihre Zukunft…“, setzt er an. ‘Hach wie melodramatisch‘, verdrehte ich genervt die Augen. Einen hübsch auf Seelsorger machen, was?. „Ich weiß schon längst was los ist, ok? ‘Brauchen sich überhaupt nicht bemühen“, brummte ich. Ich sah in seinen Augen, dass auch er mir -genau wie Ekelpaket Joneston - Anteilnahme und Traurigkeit schonungslos vortäuschte. Was für ein Heuchler. Mein Schicksal kümmerte hier in Wirklichkeit niemanden, aber das war mir mittlerweile ehrlichgesagt gleichgültig. Jetzt war doch eh alles zu spät, schaut mich doch an. Verstand das denn keiner?
„Okay. Ich versteh dich.“, sagte er, als könnte er Gedanken lesen, „Du musst mir nicht zuhören, aber es ist meine Aufgabe dich ausreichend und klar darüber zu informieren. Bei deinem Unfall ist ein Biss bis ins Rückenmark vorgedrungen. Dort sitzen viele Nerven, wie du sicherlich weißt. Diese steuern deine Muskeln, sei es im Bein, Arm oder Fuß. Der Biss des Löwen hat viele Nerven so stark verletzt, dass deine Beine vollständig gelähmt und deine Arme und dein Kopf eingeschränkt gelähmt sind. Deine Querschnitzlähmung hat auch zur Folge, dass du vieles nicht mehr spüren kannst. Schmerz, Temperatur, etc. Außerdem wirst du ab sofort mit einem Rollstuhl klarkommen müssen. Luke, wir haben wirklich alles getan was in den Grenzen des Machbaren lag. Leider konnten wir dir nicht mehr helfen. Dennoch wünsche ich dir viel Glück für die Zukunft, Kraft und Lebensfreude. Du bist doch ein starker Junge.“ , bobba er mir über den Kopf und lächelte bemüht. „Schwester Hilary kommt morgen und zeigt dir, wie du mit dem Rollstuhl umgehst. Ich wollte dich keinesfalls belästigen. Diesen Joneston musst du jedenfalls nicht mehr sehen, wenn dich das tröstet.“, waren seine letzen Worte, bevor er verschwand.

Dr. Fanning –seinen Text hatte er ja recht ordentlich auswendig gelernt. Wenn seine Augen und seine Mimik ihn nicht verraten hätten, hätte ich ihn wahrscheinlich glatt für nett gehalten. Sorry, aber ich hasste diese Pseudopsychologen mit ihrem seichten ‚Ich versteh dich‘ und ‚du musst jetzt stark sein‘ –Gelaber und ihrer aufgesetzten Ich-bin- der- nette- Arzt- von- nebenan- Tour. Die konnten mir garantiert nicht helfen. Das musste ich schon alleine verdauen. Nun ja, ich versinke vielleicht ab und zu im Selbstmitleid. Ich jammere dann und wann, bis ich mich selbst nicht mehr ertragen kann. Aber gelegentlich will man eben einfach mal eine Bestätigung. Eine Bestätigung, dass alles nicht so toll ist, wie es sein könnte oder vielleicht aussieht. Dass andere es wirklich besser haben und deren Leben wirklich besser läuft. Doch es soll Tage geben, da ist man fest entschlossen, sein neues Leben in die Hand zu nehmen. Jetzt war zwar nicht solch ein Tag, aber solch ein Moment. ‚Hab ein bisschen Zuversicht, mehr als einen Schimmer Hoffnung braucht man nicht, Luke‘, ermutigte ich mich, als hätte ich einen Spruch aus einem Poesiealbum vorgelesen. Und dann schaltete ich das Radio neben mir ein, weil ich dringend Ablenkung brauchte. Es lief ein Lied, dem ich aufmerksam lauschte und das mich so sehr berührte, dass mir dessen Zeilen nicht mehr aus dem Kopf gingen:
Immer vorwärts, Schritt um Schritt... es geht kein Weg zurück!
Und was jetzt ist, wird nie mehr ungeschehen. Die Zeit läuft uns davon,
was getan ist, ist getan.
Und was jetzt ist, wird nie mehr so geschehen.
Es geht kein Weg zurück.
Das Lied hatte Recht. Es geht kein Weg zurück. Ich musste nach vorne schauen, in mein zukünftiges Leben. Mein altes Leben gehörte von nun an der Vergangenheit an. hatte mich damals auf das Spiel mit dem Risiko eingelassen und Verletzungen in Kauf genommen. Jetzt musste ich mich damit abfinden, denn wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg. Leider leichter gesagt als getan. Wenn die verschwommenen Erinnerungen hochkamen, die Szene, wie mir Silvan seine riesigen Zähne kaltblütig ins Fleisch rammte, zuckte ich jedes Mal zusammen und ein kalter Schauer lief mir über den Rücken. Es waren grässliche Bilder, die ich da vor mir sah. Doch es war nicht das alleine. Aber ich musste das verdrängen, mir blieb nichts anderes übrig. Und wenn, dann schied alles andere aus.

Ich rieb meine Augen und blickte zum Funkwecker auf dem Nachttisch. 23:53. Langsam fühlte ich – es war ein Wunder, dass ich überhaupt etwas fühlte – wie meine Lider schwerer und schwerer wurden und merkte, dass ich mittlerweile ziemlich müde und erschöpft war. Mit einem lauten Gähnen zog ich mir die Bettdecke bis zum Hals und ließ meinen Kopf ins weiche Kissen sinken. Die Vorhänge waren nicht zugezogen und so bot das breite Fenster klare Sicht auf den tiefschwarzen Nachthimmel. Verträumt beobachtete ich die Sterne am Firmament, weit, weit weg von mir, bis ich irgendwann in tiefen Schlaf sank.

Es war finster. Dann wurde es allmählich heller. Vor mir erschien auf einmal eine auf den ersten Blick unbekannte Person. Aber nein nicht unbekannt, es war meine Großmutter, die ich als Kleinkind nur einige Male flüchtig gesehen hatte. Anmutig hockte sie in einem hölzernen Schaukelstuhl, in den Händen die Stricknadeln und die Wolle auf dem Schoß. Der altmodische Stuhl wippte hin und her, sodass er hin und wieder ein lautes Knarzen von sich gab. Im Hintergrund erkannte ich ein altes Landhaus- Buffet, ausgestattet mit schätzungsweise wertvollem Porzellangeschirr. Gleich daneben prangte eine alte Messingleuchte, die allerdings nur jämmerlich wenig Licht spendete und den Raum auf diese Weise in eine fast geisterhafte Atmosphäre hüllte. Dennoch entgingen mir nicht die übertrieben vielen Landschaftsbilder und bunten Blumenkränze, die die Wände zierten, welche mit kitschigen Romantikmustern tapeziert worden waren. Den Esstisch hingegen – umringt von morbiden Holzstühlen, die ihre besten Jahre ganz klar hinter sich hatten - schmückte ein weißes Häkeldeckchen und ein farbenfroher Wildblumenstrauß. Unerwartet hob die alte Frau mit jetzt den Kopf und flüsterte mit bestürztem Blick und zarter Stimme: „alle guten Dinge sind drei, mein Kind, drei mein Kind,…“ Dabei bleib sie stocksteif, ihr Blick blieb unverändert und es war ganz und gar unnatürlich, wie ihre Stimme immer schriller und dominanter wurde. Es glich mehr einer beängstigenden Drohung, am Ende war es sogar fast ein Schreien und ich beobachtete, wie ihr die Augen fast aus den Augenhöhlen traten und ihr gesamter Körper bereits zu einer Salzsäule erstarrte. Und dann urplötzlich - abrupte Stille.

Plötzlich schreckte ich auf. Schweißgebadet und schwer atmend hockte ich im Bett und starrte mit weit aufgerissenen Augen in die Dunkelheit. Es war nur ein gruseliger Albtraum gewesen, stellte ich erleichtert fest. Aber die Worte hatte ich immer noch im Kopf. Was hatte dieser komische Traum zu bedeuten? Wieso hatte ich von meiner wahrscheinlich schon verstorbenen Großmutter geträumt, wie sie dieses alte Sprichwort flüsterte? Ich konnte es mir nicht erklären. Nervös und aufgelöst krallte ich meine Fingernägel in meinen Oberschenkel, während mir tausende Gedanken durch den Kopf schossen. Hatte sie womöglich prophezeit, dass mir der besagte vierte Trick zum Verhängnis wurde? Wie war ich ihr merkwürdiges Verhalten zu deuten? Oder träumte ich das nur, weil mein Kopf dieses schwerwiegende Ereignis in meine Leben verarbeitete? Aber wieso erschien dann die Großmutter? Ich wusste es nicht. Und ich war verwirrt. Der Traum war äußerst merkwürdig gewesen und mit einem Mal fühlte ich mich sehr unbehaglich. Die Tatsache, dass die Großmutter im Traum offenbar alles geahnt hatte, machte mir Angst. Sie hatte Recht behalten, es war wahr geworden. Alle GUTEN Dinge waren an jenem Abend drei. „Tja“, rief ich in den leeren , hallenden Raum, in dem meine Worte lange als Echo nachklangen,“ hätte ich mal auf dieses Sprichwort gehört.“




Wenn Du selber mal Lust hast eine Geschichte zu schreiben, oder dich mit anderen Autoren im Habbo auszutauschen, dann komm doch mal in die Schreibwerkstatt.
Bitte beachte aber, dass geklaute Gedichte oder Geschichten nicht nur gelöscht werden, nein, außerdem wird man dauerhaft vom Wettbewerb ausgeschlossen. Das gilt jeweils für beide Wettbewerbe. Wer bei der normalen Schreibwerkstatt gesperrt ist, darf auch bei der Reimwerkstatt nicht mehr mitmachen. Also lasst es einfach. Außerdem werden bearbeitete Einträge nicht gewertet, um so Ideenklau auszuschließen. Am besten Ihr schreibt die Geschichten oder Gedichte erst fertig und postet sie dann. Im Zweifelsfall am besten ganz neu posten bevor euer Post noch gelöscht wird.
Außerdem findet ihr jetzt ganz neu in der Schreibwerkstatt ein paar Tipps und Tricks, die euch helfen können, eure Geschichten zu verbessern!


Das nächste Thema für Gedichte und Geschichten ist "Neue Freunde" - Zeit habt ihr bis zum Freitag den 15. Oktoberum 12 Uhr Mittags. Um es ein bisschen spannender zu machen gilt für diese Geschichte ein Wortlimit von 2000 Wörtern!

cheerio,